Selbstbestimmung im Alter
Autonomie und Sinnstiftung durch gemeinschaftliche und unterstützte Wohnformen
Die wachsende Silver Society bringt Anforderungen für mehr altersgerechten Wohnraum mit sich. Die Bedeutung von «altersgerecht» wird sich dabei wandeln.
In den meisten westlichen Gesellschaften wird die Zahl der älteren Menschen überproportional zunehmen. In der Schweiz dürfte es im Jahr 2050 bis zu 800’000 hochaltrige Menschen geben. Viele davon werden aufgrund ihrer guten Gesundheit und einer entsprechenden Leistungsfähigkeit in der Lage sein, einen wesentlichen Teil des Alltags weiterhin selbstständig zu bestreiten. Ein Teil der älteren Bevölkerung wird aber auch teilweise oder weitgehend auf Betreuung angewiesen sein. Die heutigen Strukturen des Gesundheitssystems sind allerdings nicht auf diese Anforderungen ausgerichtet. Nicht nur, weil es an Pflegeplätzen mangelt, sondern auch, weil der grösste Teil der älteren Menschen ihre Freiheitsgrade weiter behalten und nicht in einer abgeschotteten Pflegeeinrichtung leben will.
Die Entwicklung von zukunftsfähigen Angeboten für eine ältere Bevölkerung greift oftmals zu kurz, weil Lebensqualität im Gesundheitssystem primär auf eine Maximierung von Lebensjahren ausgerichtet ist. Dabei wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass Einschränkungen durch eine reduzierte Leistungsfähigkeit oder körperlichen Gebrechen den Alltag erschweren. Trotz immer verbesserter Medizin bleibt zu akzeptieren, dass das Alter Limitationen mit sich bringt und körperliche sowie mentale Fitness gefördert werden will. Ein wichtiger Aspekt zur Vorbeugung von Einsamkeit und für einen glücklichen und würdevollen Lebensabend bildet das Fördern von sozialen Kontakten.
Der soziale und physische Austausch von Mensch zu Mensch ist ein zentraler Eckpfeiler einer intakten Gesellschaft. Dies betrifft im Fall der steigenden Lebenserwartung nicht nur den Austausch innerhalb der gleichen Altersgruppe, sondern insbesondere auch das Fördern von Kontakten zwischen unterschiedlichen Generationen. Dies eröffnet zudem Möglichkeiten, sich im Alltag gegenseitig zu unterstützen, etwa bei der Kinderbetreuung oder bei Haushaltsaufgaben.
Aus einer gesellschaftlichen Perspektive gilt es, eine Debatte über das Potenzial und die Grenzen für das Ermöglichen eines sinnstiftenden, langes Lebens in einem grösseren Bild zu vertiefen. Dies umfasst den Ausbau von altersgerechter Infrastruktur bis zu neuen Formen des Zusammenlebens, aber besonders die Auseinandersetzung darüber, wie der letzte Lebensabschnitt selbstbestimmt und mit Würde gestaltet werden kann.
Thesen für das Wohnen im Zeitalter der Silver Society
Wohnungen und Infrastruktur, die trotz altersbedingten Einschränkungen ein autonomes Leben erlauben, werden zu einem zentralen Eckpfeiler der künftigen Gesellschaft.
Sie entsprechen dem Bedürfnis nach einem selbstbestimmten Leben des Grossteiles der Bevölkerung und entlasten Pflegezentren. Technologische «Home Care»-Lösungen können dabei helfen, Unterstützungsleistungen einfach und dezent zu ermöglichen. Dies umfasst digitale Assistenten, die das Aufstehen und Bewegen erleichtern, Sensoren, die Stürze melden oder virtuelle Schnittstellen, die sozialen Austausch oder Gespräche mit medizinischem Fachpersonal von zuhause aus ermöglichen.
Soziale Interaktion zwischen unterschiedlichen Generationen wird durch neue Wohnformen gefördert.
Der direkte Austausch zwischen jüngeren und älteren Menschen und gegenseitige Unterstützung im Alltag kann durch generationenübergreifende Siedlungen oder Gebäude sowie Begegnungsräume gefördert werden.
Altersgerechter Wohnraum richtet sich nicht nur auf Barrierefreiheit und Sicherheit, sondern auch auf Bewegungsförderung aus.
Als Alternative zu mehr Convenience und Sicherheit kann Wohnraum auch für das Fördern von körperlicher Betätigung genutzt werden, beispielsweise durch Motivation für die Nutzung und altersgerechten Ausbau von Treppen. Der Grad der Automatisierung kann zu Gunsten von mehr körperlicher Aktivität reduziert werden.
Gemeinsam mit dem Think Tank W.I.R.E. wagt Livit zum 60 Jahre Jubiläum einen Ausblick auf die Welt von morgen. Dabei werden sechs langfristige Entwicklungen in Bezug auf die Folgen für unseren Alltag und unsere Wohn- und Arbeitsräume beleuchtet. Dies ist der letzte Beitrag unserer Zukunftsreihe. Haben Sie einen Beitrag verpasst? Hier können Sie alle Artikel nachlesen: