Kollaboration wird überlebensnotwendig Interview NZZ

m NZZ Interview mit Johannes J. Schraner verrät Andreas Ingold, CEO der Livit, welche Megatrends die Immobilienbranche zurzeit bewegen, welche sich am Horizont abzeichnen, und wie man mit den neuen Herausforderungen umgehen kann. 

 

Welche Megatrends treiben und verändern die Zukunft der Immobilienbewirtschaftung am stärksten?
Viele, wie zum Beispiel die Digitalisierung. Sie wird die Branche aufsplitten. Interaktive Kundenkontakte werden in einer mehr und mehr automatisierten und anonymisierten Welt immer wichtiger. Big Data und Algoritmen sind der Rohstoff beziehungsweise die Werkzeuge dazu. Ein weiterer Megatrend ist die Silver Society: Es entsteht gerade eine anspruchsvolle und finanziell potente Klientel mit einem stark ausgeprägten Ansatz eines selbstbestimmten Lebens zum Beispiel in Form eines möglichst langen Wohnens in den eigenen vier Wänden. Ein anderer Trend ist die Urbanisierung: Bis 2020 wird der Anteil der Stadtbevölkerung in der Schweiz von bisher 50 Prozent auf 70 Prozent anschwellen und das bei einer geschätzten Gesamtbevölkerung von dann zehn Millionen. Gesetzgeberisch müssen deshalb die Grundlagen für einen weiteren Urbanisierungsschub frühzeitig geschaffen werden.

Da kommt eine ganze Menge Veränderungspotenzial und Druck auf die Branche zu.
So ist es. Ich bin seit 35 Jahren in der Branche tätig. Im Vergleich zur Vergangenheit entwickelt sich alles sehr viel schneller. Pilotlösungen von Marktteilnehmern werden schnell kopiert, was wiederum alle nervös macht. Trotzdem geht die Umsetzung der Veränderungen aufgrund des doch sehr grossen Gesamtbestandes an Liegenschaften in der Branche dann doch länger. Disruption wird es auch bei uns geben. Alle müssen sich deshalb fragen, welche neuen Modelle daraus entstehen könnten.

Welche sind das?
Grosse Bewirtschaftungsfirmen wie die Livit AG haben klare Zielsetzungen und können diese auch finanziell verfolgen. Grosse Anbieter könnten sich beispielsweise mit anderen zu digitalen Plattformanbietern und sogenannten Ökosystembetreibern wandeln. Sie wären dann für die Mieter in allen Fragen rund ums Wohnen die erste Adresse. Die Facility Management Services würden dabei eine zentrale Rolle spielen.

Nicht mehr Konkurrenz (competition) aber noch keine Kooperation sondern die neue Mischform des Wettbewerbs, der Koopetition also?
Firmen-Kollaboration wird das künftige Alleinstellungsmerkmal sein, um firmengrenzen-übergreifend kundenzentrierte Lösungen zu bauen. Firmen, die ihre IT nicht offen bauen, damit sie mit Partnern einfach interagieren können, werden nicht in das neue Ökosystem "eingeladen".

Wie sieht die Zukunft für KMU-Dienstleister aus?
Für mittelgrosse Dienstleister wird es schwieriger. Kleinere Anbieter dagegen werden ihre Berechtigung als Nischenplayer weiterhin behalten, mit einem persönlichen Ansatz, wenn auch auf einem tiefen analogen Niveau.

Welche Auswirkungen hat das alles auf die Zusammenarbeit mit Ihren Eigentümern, Ihren Lieferanten und Partnern?
Auch hier ist die Form der künftigen Modelle offen. Sicher ist, dass sich die Schnittstellen verschieben werden und die Kollaboration über die Firmengrenzen hinweg überlebensnotwendig wird. Die Eigentümer ihrerseits erhalten durch all die zusätzlichen Kundendaten viel stärkere Steuerungsmöglichkeiten für ihre Produkte und Dienstleistungen.

Machen wir die Probe aufs Exempel. Wie wollen Sie die Livit AG für die Zukunft positionieren?
Wir sehen uns als schweizweit agil und innovativ agierender Dienstleister mit einer hohen Dienstleistungsqualität und stark ausgeprägter Kundenorientierung.

Wie definieren Sie das künftige Anforderungsprofil eines idealen Immobilienbewirtschafters?
Viel stärker in den Fokus rücken künftig heute noch relativ wenig ausgeprägte Aufgaben wie Kundenbetreuung, Kundenpflege und Kundenberatung. Die klassischen administrativen Aufgaben werden zunehmend digitalisiert beziehungsweise automatisiert. Ich vergleiche die Zukunft des künftigen Mitarbeitenden gerne mit einem Haus.

Können Sie das weiter ausführen?
Das Fundament und Parterre dieses Kompetenzhauses ist das bisherige Tagesgeschäft, das sehr gut funktioniert. Der erste Stock ist der Kunden-Performer im Tagesgeschäft, der immer besser auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden eingehen kann. Das Dach dieser Kompetenzen bilden schliesslich die übergeordneten, strategischen Ziele des Unternehmens, die im Bewusstsein eines Angestellten ebenfalls verankert sein sollten.

Ein anspruchsvolles Profil, das auch die bisherige Führungskultur im Kern betrifft.
So ist es.

Was bedeutet die Digitalisierung für die Livit AG konkret?
Digitalisierung ist für das Unternehmen ein Kulturprojekt. Der Wandel soll für unsere Angestellten seinen Schrecken verlieren.

Die Frage ist nicht, ob wir die Digitalisierung umsetzen, sondern wie. Wir wollen dafür ganzheitliches Denken und Handeln im Verhalten, in den Strukturen und in der Unternehmenskultur fördern.

Andreas Ingold, CEO Livit AG

Welchen Wandel meinen Sie konkret?
Alle Liegenschafts-, Mieter-, Hauswart- und Personalakten sowie der physische Posteingang sind inzwischen digitalisiert. Inzwischen sind das immerhin acht Millionen Akten-Seiten. Die E-Rechnung ist schon länger eingeführt und der gesamte Recruiting-Prozess wird ebenfalls digital abgewickelt.

Wie soll der Wandel seinen Schrecken verlieren?
Die Frage ist nicht, ob wir die Digitalisierung umsetzen, sondern wie. Wir wollen dafür ganzheitliches Denken und Handeln im Verhalten, in den Strukturen und in der Unternehmenskultur fördern.

Wie soll das geschehen?
Wir wollen eine Fehlerkultur etablieren. Das bedeutet, den Mut zu fördern, etwas zu tun, scheitern zuzulassen und aus Fehlern zu lernen. Wir wollen Erfolge feiern, Rückschläge kommunizieren und die entsprechenden Lektionen lernen.

Und das funktioniert?
Voraussetzungen dafür sind  eine gute interne Kommunikation, um Veränderung als Chance wahrzunehmen, der Miteinbezug der Mitarbeitenden mittels Workshops sowie Reflexionsschlaufen zur Optimierung.

Wechseln wir die Perspektive. Wollen Schweizer überhaupt digital, sprich mit dem Internet der Dinge wohnen?
Grundsätzlich stellen wir ein diesbezügliches Interesse fest, das aber noch nicht stark ausgeprägt ist. Da wo Zusatznutzen für den User generiert werden können, wird es interessant. Das Internet der Dinge ist schon Realität und wird sich rasant entwickeln. Diesbezüglich werden auch die Eigentümer profitieren, da sie mit einer viel höheren Transparenz hinsichtlich des Nutzerverhaltens die Zufriedenheit des Mieters und damit die Performance steigern können.

Was wissen Sie künftig über Infrastruktur, Mieter und Nutzer von Liegenschaften?
Sehr vieles! Der Umgang mit den Daten muss deshalb zwingend sehr verantwortungsbewusst sein.

Wie gehen Sie und Ihr Unternehmen mit der neuen Marktsituation der steigenden Leerbestände, sinkenden Mieten und rückläufigen Objektpreise um?
Die Leerbestände sind die grosse Herausforderung für alle und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Es tut sich eine Schere zwischen Mehraufwand und Minderhonorar auf, wobei die Eigentümer diesbezüglich mit im Boot sind. Wir haben bereits vor über einem Jahr reagiert und den separaten Geschäftsbereich "Vermietungsmanagement" aufgebaut. Damit konnten wir das durch die Marktentwicklung entstandene Delta spürbar brechen.

Welche Entwicklungen erwarten Sie mittelfristig?
Aufgrund des anhaltenden Negativzins-Umfeldes bleiben Investitionen in Immobilien nach wie vor attraktiv. Andererseits haben die Leerstände ihren Zenit noch nicht erreicht. Das bedeutet, dass der Druck auf Renditen weiter steigt. In der Nachkriegszeit hatten wir lediglich 1975 bis 1977 und 1996 bis 1999 einen höheren Leerbestand als heute.

Warum steigen die Leerbestände weiter an?
Dafür gibt es eine einfache Formel: Wenn die Zuwanderung und das Beschäftigungswachstum nicht signifikant zunehmen, resultieren bei gleichbleibender Produktion steigende Leerbestände. Die Zuwanderung jedoch nimmt ab. In den Jahren 2011 – 2015 wurden jeweils ca. 60 000 Wohnungen jährlich neu erstellt, welche mittels der durchschnittlichen, jährlichen Nettozuwanderung von 70 000 bis 80 000 absorbiert wurden. Die Leerbestände betreffen vor allem Mietwohnungen in Bestandesliegenschaften, die älter als zwei Jahre sind. Überproportionale Leerquoten sehen wir in Agglomerationsgemeinden sowie in ländlichen Gebieten. Im Bürobereich sind wir mit der grossen Herausforderung neuer Arbeitsplatzmodelle konfrontiert. Dazu zählen Desk-Sharing, CoWorking, NewWork und nicht zuletzt Homeoffice. Sie benötigen allesamt weniger Fläche. Im Retailbereich führt u.a. der stark wachsende Online-Handel dazu, dass bisherige Verkaufsflächen leer stehen.

Wie haben die Investoren und Eigentümer auf die veränderten Rahmenbedingungen reagiert?
Wir pflegen mit unseren Auftraggebern eine langjährige und partnerschaftliche Zusammenarbeit. Es wird trotzdem zusätzliche Transparenz im Zusammenhang mit Ertrags- und Kostenentwicklungen eingefordert. Auch Vermietungsbemühungen betreffend wird uns stärker auf die Hände geschaut. Am Investitionsverhalten hingegen hat sich nichts verändert. Nach wie vor ist ein starkes Interesse an zusätzlichen Immobilieninvestitionen vorhanden. Die durchschnittliche Netto-Rendite in der Stadt Zürich lag letztes Jahr immerhin bei drei Prozent.

Wie beurteilen Sie die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Immobiliendienstleister?
Ich stelle seit einigen Jahren eine eigentliche Regulierungswut seitens des Bundes fest. Volksinitiativen wie die Lex Koller, die zweite Teilrevision des Raumplanungsgesetzes, Zersiedlungsinitiative, die Zweitwohnungs-Initiative und die Formularpflicht für den Anfangsmietzins untermauern dies. Dieser Überregulierung versuchen wir auch mit dem Schweizerischen Verband der Immobilienwirtschaft (SVIT) und mittels einer stärkeren Zusammenarbeit mit den anderen Immobilienverbänden entgegen zu steuern. Schlussendlich muss die freiheitliche Eigentumsordnung gewährleistet bleiben.

 

April 2018